Wenn man die Ebenen miteinander spielen lässt
Die Bilder von Bernd Kommnick
Es ist diese unglaubliche Innerlichkeit, die gefangen nimmt: “Magas“, “Meja“, zwei
großformatige Assemblagen aus dem Jahre 2001. Die Berührung, die sie stiften ist irritierend
intensiv; die ästhetische Stringenz ist ebenso sinnlich anziehend in ihrer kostbaren
Graumodellierung des malerischen Grundes – wie distanziert kühl durch die geometrische
Gestik der figürlichen Bildobjekte, die in der montierten Komposition die Balance halten und
dennoch feinste dissonante Spannungen unablässig mit sich austragen. Im Grunde ist in
diesen beiden Bildern das ganze, höchst eigene und facettenreiche Kunstkonzept von Bernd
Kommnick angelegt, brillant und in einer weise unprätentiös, die das Empfindsame der
bildnerischen Prozesse auf seinem Weg wohl zu hüten weiß;. Die Wirkung; seltsam
einvernehmlich, geradezu vertraut, ohne Nachdruck, ohne Vermittlung auskommend – ohne
ein Bedürfnis nach Dekodierung.
Die Berührung ist pur, wenn man so will, naturgemäß. So, als ob die Kunst Kommnicks eine
beiläufig daherkommende, gedankliche Essenz des Gegenübers antizipiert, als
vorweggenommene Übereinkunft. Ohne, dass ihm das ein unbedingter Anreiz wäre, und ohne,
dass er davon ausgehen würde.
Kann sein, die Faszination rührt aus diesem ausnehmend klaren Maß, das seine Bilder am
Leibe haben, gleich aus welcher Phase seines Schaffens und gleich in welcher Graduierung.
Kann sein, er hat, nach dem listenreichen Vorschlag seines Lehrers Wolfgang Leber aus
Hochschulzeiten, sein Unvermögen kultiviert.
Kann sein, der aufhaltende Versuch vom Verrinnen der Zeit, die wir nur begrenzt zur
Verfügung haben, vor Augen zu führen – nimmt gefangen und trifft mitten in die Seele.
Letztlich ist es der große Atem, die leidenschaftliche Präzision, die gehüteten Geheimnisse,
das hohe Spiel mit den Ebenen, mit Flächen und Raum…, geistig, mental, formal, die unseren
Wahrnehmungsmechanismen eine Irritation zufügen: spurenreich oder minimalistisch rein;
zeichenhaft und dennoch einzig den Gesetzen der Form angetraut.
Der magische Moment, das Konkrete und das Metaphysische begegnen sich in seinen Bildern
nicht als Gegensätze. Sie verbünden sich mitunter in den vielfach geschichteten und wieder
abgetragenen Tiefen seiner Malgründe. Dem Klang, der daraus entsteht, haftet etwas zutiefst
Melancholisches an, das selbst noch in seinen großformatigen Druckgrafiken aufscheint und
deren transparente freie Aura begleitet. Es scheint so, dass sich Kommnick zunehmend nach
ganz alten Gesetzen richtet, sie belebt, neu berechnet, neu erstehen lässt, neu erfindet, sie
akribisch testet, damit sich das Seine fügen kann – aus Vorsicht, zur Sicherheit aus Passion.
Die Dinge auf seinen Bildern halten in sich selbst. Die innere Mitte als regulativ, gleich
welche Konsistenz, welche Variante: horizontale, vertikale, plastische; gleich welche Themen,
Strukturen, Modelle, Skulpturen.
Fügungen sind das, denen jene musikalische Stimmigkeit angeboren ist, untergründig geladen
mit Energie, die den Spannungsbogen hält, die nichts entkommen lassen, nicht hinein nehmen,
was den inneren Frieden stören könnte. Und “wenn man die Ebenen spielen
lässt“ (Kommnick), scheint Unendlichkeit auf. Seine Arbeit ist Wahrheitssuche,
kompromisslos, beharrlich, besessen und freudvoll. Die Dynamik dahinter zeigt sich nicht,erläutert nichts.
Die Bildstücke seiner Art tragen in ihrer jeweiligen Konsequenz immer die
Möglichkeit der Rückbesinnung in sich.
Eine Entwicklung quasi vom Niederen zum Höheren, von der Einführung zur Abstraktion
oder zum Konkreten – hieße, einem gängigen Irrtum aufzusitzen. Das sind keine Antipoden,
sondern Quellen der Annäherung, sowie er das vermutlich sieht.
Es gibt genügend variable Systeme, auf die der Künstler zuückgreift. Die Dichte und Frische
seiner Kunst beruht auf eben dieser Entscheidung.
Freiheit, die er sich zwangsläufig nehmen muss, und mit der er seine geistigen und
künstlerischen Ziele verfolgt, die in ihrer Wirkung das zutiefst Ernsthafte als faszinierendes
Phänomen erleben lässt.
Einmal darauf eingelassen, kommst Du nicht mehr los davon ist sie doch brauchbar,
genießbar, zur Sammlung.
Die Kontur für die Fülle seiner Ideen bemisst er streng, fast minimalistisch, um jede
Ausschweifung zu vermeiden. Es ist zudem die Handwerklichkeit, die er hochhält: Hand
anlegen, - nicht fertigen lassen; gemalt, gedruckt, überdruckt, eingedruckt, gezeichnet,
berechnet, probiert, gebaut. Kein Detail gleicht dem Anderen. Seine Schöpfungen haben
Leben. Im Grunde gibt es keinen Beginn im Sinne des Anfangs und keinen Abschluss als
Ende.
Es gibt Ebenen und vorerstige Klärungen. Nichts, das da abgebildet wäre. Kommnicks Kunst
hält inne – im wahrsten Sinne des Wortes. Die Ambivalenzen und Schwingungen und
Ruhepunkte verhalten sich wie im wirklichem Leben: die Form gefühlt fürs Sprechen, Atmen,
Emotion; Außenwelten, Kommunikation… Liebe, Hass, Tod – alles Chaotische, alles
Glück…
Schwebezustände, die sich die Akzentuierungen durch die Hand des Künstlers gefallen lassen,
denn sie treiben die Dinge in ihrer Beseeltheit soweit, bis das sie ihr Pendant vergessen, sich
auflösen oder ihr Wesen auf die Spitze treiben. – Skulpturen, nadelfein, ´Schwarz´ und
´Weiß´ in heftiger Umarmung, im eheähnlichen Zustand, in Konkurrenz oder Ignoranz. Im
Schwarz das wirkliche Blau. Die Leere der Unterlassenen im Bild, Freiräume sind ein Thema.
Die Relativierung bringt es an den Tag, man muss nur sein Spiel mit ihr treiben. Kommnicks
kunstvoller Biotop stellt sich gern in Frage – ungeachtet aller Schinderei und allen Glücks.
In diesen, seinen Biotopen jedenfalls geht es wundersam ordentlich zu und gerecht und mit
einem untrüglichen Sinn für Schönheit.
Kommnick arbeitet zyklisch, will wissen, wie weit das geht, wie weit man es treiben kann,…
schälen, häuten, weiter bis hin zum Kern. Sein Werk hat ein höchst besonderes, höchst
persönliches Maß;, das weder zu definieren, noch zu fassen ist, denn es agiert ebenso aus den
Gewissheiten heraus, wie aus den Tabus…
Das himmelhohe Maß;, von dem man weiß;, man erreicht die völlige Klarheit nie. Und
trotzdem ist der Aufwand zur Klärung lebenslange Provokation. Kann sein, Du verbohrst
Dich jämmerlich dabei, bis dass Du selbst daran kaputt gehst. Kann sein, Du rettest dabei
zumindest die eigene Seele. Es ist wahrscheinlich die präzise Kenntnis von Vergeblichkeit,
Pirouetten drehend am Abgrund – dem eigenen und dem der Welt.
Petra Hornung, 2010 (Katalog Arbeiten 1999-2010)
Bernd Kommnick ist ein Künstler, der durch die Qualität seiner Werke überzeugt und mit der Vielfalt seiner Techniken und Ausdrucksformen überrascht. Er verbindet scheinbar Widersprüchliches.
In Serien untersucht er systematisch die räumliche Wirkung und die Symmetrie, die Verteilung von Farben und ihren Flächenanteilen im Bild. Das Quadrat ist ihm das wichtigste Gestaltungselement. Mit Farbe sorgt er für Strenge oder Auflockerung: Minimalistische Strenge erzeugt er mittels Monochromie durch die Verwendung von weißen oder schwarzen Quadraten allein wie bei 13_o_010. Auflockerung schaffen Quadrate in Gelb, Rot, Rosa, Blau, Orange, Schwarz oder Grau, die Natureindrücke assoziieren. Meist verwendet Kommnick kleine Quadrate aus Karton in unterschiedlichen Farben und Größen. Oft klebt er mehrere Formen übereinander, so dass viele Arbeiten zum Relief oder zur Assemblage werden. Diese meist konstruktiven Werke erinnern an kubistische Architekturformen.
Eine andere Seite zeigt Bernd Kommnick in seinen poetischen Zeichnungen auf handgeschöpftem Lokta-Büttenpapier, das eine besonders sinnliche Ausstrahlung besitzt. Mit wenigen bunten Strichen formuliert er fantasievolle, fragile Architekturgebilde. Oft sind Quadrate in verschiedenen Größen einander überlappend gezeichnet. Durch die Handzeichnung sind die Linien weich und vibrierend, stehen im Gegensatz zu den geschnittenen kantigen Pappformen auf den Collagen. Die Staffelung der Quadrate ist auf dem Blatt 11_c_143 zwar nur gezeichnet und damit zweidimensional, aber durch die Präsentation als Umrissformen und die Variation in Größe und Anordnung scheinen sie zu schweben und geben der Darstellung den Anschein von Dreidimensionalität. Die Büttenbögen tragen mit Ihren unterschiedlichen Farbgründen zur malerischen Gesamtwirkung dieser zauberhaften Blätter bei. Weiße Gitterlinien oder andere zarte Rasterkonstruktionen auf den farbigen Gründen sorgen für Kontraste und Spannung.
Dr. Merete Cobarg, 2014 (Katalogbeitrag zum Katalog „Land in Sicht“ Die Kunstankäufe des Landes M/V 2012 -2013-2014)
Der Titel „Kontraste – Schwarz – Weiß – Louise Rösler – Bernd Kommnick“ lässt erkennen, dass sich die Kuratorin, Anka Kröhnke, mit dieser Ausstellung allgemeinen künstlerischen Überlegungen zuwendet, die sie beispielhaft an zwei Positionen veranschaulicht: an derjenigen der 1907 geborenen Louise Rösler und an der von Bernd Kommnick, Jahrgang 1960. In ein Nachdenken über Farbe und die Abwesenheit von Buntfarbe taucht man unwillkürlich ein, wenn man sich zwischen schwarzen und weißen oder schwarz/weißen Bildern wiederfindet – denn die Wirklichkeit ist ja eigentlich bunt.
Zunächst spielt der Ausstellungstitel auf den Polarkontrast von Schwarz und Weiß an und auf das, was im Widerpart, im Nebeneinander und im Zusammenwirken beider Farben entstehen kann. Schwarz und Weiß, die beiden unbunten Farben, stellen Fragen. Mehr als jede andere Farbe des Spektrums: und das Faszinosum Schwarz viel mehr noch als das unschuldig schweigende Weiß. Unter den Fragen ist auch die, ob Schwarz und Weiß überhaupt Farben sind. Es ist einfach: wir wären nicht hier, wenn Schwarz und Weiß keine Farben wären. Physikalisch gehören Schwarz und Weiß allerdings nicht zu den sieben Farben des Spektrums, die im weißen Licht enthalten sind. Wir sprechen jedoch über Pigmente und nicht über Kategorien der Optik.
Louise Rösler und Bernd Kommnick sind so verschieden, dass man auch hier von einem Kontrastunterschiedlicher künstlerischer Standpunkte sprechen kann.
Was beide Künstler eint, ist, dass sie mit ausschließlich auf Schwarz und Weiß basierenden Werken vertreten sind – in zwei gänzlich unterschiedlichen Herangehensweisen – und dass beide, Rösler weitgehend und Kommnick radikal, eine ungegenständliche Bildsprache sprechen, aber wiederum in sehr verschiedener Weise. Dabei fällt es nicht ins Gewicht, dass Bernd Kommnick zwei Generationen jünger ist als Louise Rösler.
Seit der Antike haben sich die Künstler auch theoretisch mit den Farben Schwarz und Weiß beschäftigt. Es sind die metaphysischsten Farben, die sie auf ihrer Palette haben. Sie sind ausgestattet mit Bedeutungen, die über ihre optische Erscheinungsweise hinaus ins Existentielle verweisen, indem sie Licht und Finsternis vertreten können, das positive Nirwana-Nichts oder das negative Vernichtungsnichts.
Die griechische Malerei der Antike brachte die „Vier Farben“-Lehre hervor, also einen ernsten, reduzierten Kanon. Die vier Farben sind Schwarz, Weiß, Rot und Gelb. Für den Frührenaissancetheoretiker und Baumeister Leon Battista Alberti, der ins 15. Jahrhundert gehört, sind Schwarz und Weiß erklärtermaßen keine Farben, weil sie nur zur Darstellung von Licht und Schatten verwendet werden.
Ganz anders aber betrachtet das der ein knappes halbes Jahrhundert jüngere Leonardo da Vinci. Für ihn gehören Weiß und Schwarz zu den „einfachen Farben“, Weiß ist die erste Farbe, gefolgt von Gelb, Grün, Blau und Rot, Schwarz ist die sechste Farbe. Ihn, den Meister des Sfumato, der in weiche Schatten und halbdunkle Bereiche eintauchenden Formen, fesseln an Weiß und Schwarz ihre jeweiligen Schattenpotentiale. Ein Weiß im Schatten verliert seine Farbe, Schwarz hingegen intensiviert sich im Schatten.
Die reduzierte Farbenzahl der Antike (Schwarz, Rot, Gelb und Weiß) wird in der Malerei des 17. Jahrhunderts wieder aufgenommen: wir finden sie zum Beispiel auf Gemälden von Caravaggio. In ihrer Strenge war sie geeignet, mythologische und heroische Themen vorzutragen, in der Antike ebenso wie im Frühbarock.
Schwarz ist eine der tragenden Farben der spanischen Barockmalerei und, kontrastiert vor allem mit Weiß, bestimmt es ganz besonders die düster-dramatische Bildfarbigkeit des Barockmalers Francisco Zurbarán. Im Venedig des 18. Jahrhunderts hat das Weiß wie sonst nirgends in der Kunstgeschichte, begleitet von lichten Buntfarben, seinen festlichen, geradezu triumphalen Auftritt.
In allen Epochen bis zur Moderne aber stehen Schwarz und Weiß IMMER im Dienst der Gegenstandsschilderung. Mit ihrem Licht- und Dunkelgehalt modellieren sie die Bilddinge und verleihen ihnen im Zusammenwirken mit dem innerbildlichen Beleuchtungslicht Plastizität.
Erst die künstlerischen Revolutionen des frühen 20. Jahrhunderts befreiten, vorbereitet durch die Malerei des 19. Jahrhunderts, die Farbe von der Gegenständlichkeit und machten sie zum alleinigen Bildgegenstand. Schwarz erlangt dabei eine besondere Aufmerksamkeit: man denke an die zwischen 1908 und 10 entstandenen schwarzen Aquarelle von Paul Klee oder die zwischen 1960 und 1963 gemalten schwarzen Bilder des Amerikaners Ad Reinhard, an Barnett Newman, Frank Stella, Richard Serra oder auch an Yves Klein, der mit seinem fabelhaften Blau eine herausragende Stellung unter den Farbmalern des 20. Jahrhunderts einnimmt, aber auch schwarze Bilder malte.
In Europa, vor allem in Russland und Paris, formierten sich seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts einerseits die Kubisten, die Orphisten, die Rayonisten, die Futuristen, die Expressionisten, andererseits die Suprematisten und die Konkreten und ab der Mitte des Jahrhunderts in Amerika die Farbfeldmalerei. In all diesen Richtungen gab es zwei grundsätzlich divergierende Ausprägungen: die des expressiven Gestus und die der geometrisch-konstruktiven Haltung. Auf der ersten, der expressiv-dynamischen gründet die Kunst von Louise Rösler. Bernd Kommnick indes bekennt sich zum Konstruktivismus. Übrigens: Anka Kröhnke bewegt sich mit ihrer eigenen Kunst geradezu oszillierend zwischen beiden Richtungen – eine Möglichkeit, die ihr vielleicht die Herkunft aus der Textilkunst eröffnet hat.
Nun möchte ich Ihnen die Variationen beider Künstler zum Thema Schwarz / Weiß näher vorstellen und beginne mit Louise Rösler.
Wenn wir an ihre Bilder denken, assoziieren wir bunt; ihre dynamischen Kompositionen mit ihrer Vorliebe für schwebende Sekundärfarben: Viel Grün, Violett, Türkis, Orangerot.
Aber es gibt, abgesehen von den frühen Graphithandzeichnungen, auch eine Reihe von Blättern, allerdings keine Tafelbilder, auf denen sie vor allem die graphischen, aber auch die malerischen Möglichkeiten auslotet, die der Verzicht auf die Buntfarben ihr bietet. Diese Reduktion ermöglicht die Konzentration darauf, wie die Hand die Linie führt, wie die Künstlerin die Bildelemente bändigt, wie Hell und Dunkel gesetzt werden, wo die Erzählung aufhört oder einsetzt. Dabei experimentiert Rösler innovationsfreudig mit den Materialien und Techniken, die ihr die oft kargen Umstände bieten: dem Valeurreichtum von Graphit, Kohle und der Aquarellierung, der lakonischen Sprödigkeit der Kaltnadelradierung, dem Gleiten des tiefschwarzen, glänzenden Filzstifts über das Blatt oder der sanften Tonigkeit der Frottage.
Eine kleine Arbeit verdichtet den Blick von oben auf das kriegszerstörte Frankfurt – poetisch, trauernd, und ebenso in kühler analytischer Formenzerlegung, mit der die Kunst hier auf die tragische Formenzerstörung der realen Stadt antwortet. In einem all-over-Bildmuster zeigen Strichelungen und Punktierungen helle Trümmerflächen an, schwarze, splittrige Flächenformen die aufragenden Ruinen zerbombter Häuser. Fragmente von Reklameschriften verweisen auf erloschenes Großstadtleben. Schwarz und Weiß und die dazwischen liegenden Grautöne evozieren die Stille nach der Vernichtung. Eine beklemmende Totale und zugleich ein Kunstwerk, das ich, mit einem kleinen Zögern, formal bezaubernd nennen möchte.
Die Großstadt, genauer, die Begeisterung für die bunte Dynamik großstädtischen Lebens und des Stadtraums ist Röslers Thema: die bunten Lichter, die aufragenden Häuser, die Brückenbögen, die Konstruktionen von Bahnhofshallen, die Kompositionslinien der Straßenzüge und die Menschen, abstrahiert zu anonymen Figurinen, besser noch: zu Kürzeln.
Wenn Sie Ihre Einladungskarte zur Hand nehmen oder die Kaltnadelradierung „Straße mit Unterführung“ betrachten, finden Sie Louise Rösler gewissermaßen in ihrem Element oder in ihren künstlerischen Elementen: wieder die strichelnden Züge, aber vor allem blattüberspannende gebogene Linien und entsprechende Gegenzüge, Ballungen und Kreisformen – und in allem lässt sich menschliches Leben ausmachen.
Louise Rösler ist letztlich den Richtungen des Rayonismus (Rayon = Strahl) und des Futurismus, der Zerlegung des Bildes in farbige (oder auch nicht farbige) Formen verpflichtet. Sie abstrahiert mehr oder weniger von den Gegenständen, aber sie wohnen, so sagen es auch ihre Bildtitel, ihren Bildwelten immer inne.
Bernd Kommnick hingegen gehört zu den wenigen in Mecklenburg-Vorpommern ansässigen Vertretern Konkreter Kunst und er ist einer ihrer konsequentesten. Und doch: wieviel Musikalität und künstlerische Unverwechselbarkeit liegt auch in der Strenge. Piet Mondrian sprach vom „geistigen Gefühl“.
Der Begriff der Konkreten Kunst taucht 1930 mit Theo van Doesbergs Konkretem Manifest auf. Das Phänomen ist jedoch mehr als ein Jahrzehnt älter und begegnet etwa bei Wassily Kandinsky, Piet Mondrian und Kasimir Malewitsch. Noch immer, Kommnick und viele andere Künstler beweisen es, ist das intellektuelle Spiel dieser Richtung nicht ausgespielt.
Konkrete Kunst will frei sein von Bedeutung, Symbolik, Darstellung und Gegenstandsbezug. Sie ist nicht abstrakt, denn sie abstrahiert von nichts, sie verweist auf keinen Gegenstand und keine Erzählung. Theo van Doesberg erklärt es sehr anschaulich: ein Mensch, ein Tier oder ein Baum sind in der Natur konkret – in der Malerei aber sind sie Illusion und Abstraktion – weit mehr als die Linie oder die Farbe. Allein Farbe und Linie sind in der Malerei konkret. Doesburg sagt „In der Malerei ist nur die Farbe wahr. Die Farbe ist eine konstante Energie, bestimmt durch den Widerspruch zu einer anderen Farbe“.
Konkrete Kunst basiert auf geometrischen, modularen und seriellen Ordnungen, die im Geist vorgedacht sind. Sie möchte genau und unpersönlich sein. Sie verweigert den erkennbaren Duktus der Hand. Kommnick geht bei einigen Arbeiten so weit, dass er (wie andere Künstler auch) den Computer einsetzt, dass dem im Geiste geformten Konzept nicht die Hand, sondern die Maschine folgen muss – was sie mit größerer Exaktheit vollbringt als die Hand.
Ohne Kasimir Malewitschs epochale Werkgruppe „Schwarzes Quadrat“ der Jahre zwischen 1913 und 25 ist auch Kommnicks Kunst nicht vorstellbar. Ein solches schwarzes Quadrat war 1915 in Petrograd wie eine russische Ikone im Winkel zweier aufeinanderstoßender Wände ausgestellt. Derartige Bilder wirken in der Tat als Kraftfelder. Für Malewitsch bilden die Farben und Formen eine kosmische Dynamik ab, Erregungszustände, die im Weiß und Schwarz ihre äußersten Grenzen, ihre „höchste Kultur“, wie er sagt, finden, die in der Gesellschaft zwar anzustreben, aber nur in der suprematistischen Kunst zu erreichen ist. (Also: in der Kunst, die die Gegenständlichkeit unterdrückt). Bemerkenswert erscheint mir an Malewitschs philosophischen Gedankenwerk in unserem Zusammenhang, dass auch in dieser so scheinbar statischen Richtung der Avantgarde das große Thema der Moderne, nämlich die Dynamik behandelt wird, die ja auch in der Kunst von Louise Rösler das zentrale Anliegen ist.
In Kommnicks Schaffen spielen Serialität und modulare Ordnung eine gleichgewichtige Rolle. Sein Grundmodul ist das Quadrat, mit ihm der rechte Winkel und die zum Balken oder zum Rechteck addierten Quadrate oder aber auch eingeschriebene, mit der Räumlichkeit spielende Dreiecksvariationen und ihre Winkelverhältnisse.
Der künstlerische Zugriff auf die Geometrie zeichnet sich aber durch das im Letzten Uneindeutige aus. Manche von Kommnicks Werken haben ein offenes Ende, eine geplante Lücke im Kalkül. Sie sind eben Aufgabenstellungen der Kunst – nicht der Geometrie.
Bernd Kommnick nennt sich Flächengestalter. Es gilt, was Piet Mondrian bereits 1917 feststellte: dass Flächen mit ihren linearen Begrenzungen in ihren Dimensionen und Farben imstande sind, Raum zu gestalten – ohne den Raum jedoch perspektivisch visuell auszudrücken.
Kommnick füllt seine Farbflächen mit sich nach innen öffnenden Farbrräumen. Das monochrome Schwarz ist immer räumlich. Auf eine andere Weise raumhaltig wirkt das polychrome Schwarz, in das bis zu vier Farben hineingemischt sind, die erst bei rechtem Licht und genauem Hinsehen die farbigen Strukturen und Modulationen erkennen lassen.
Zudem entwickeln seine Reliefs und Assemblagen auch eine faktische, subtil tastbare Räumlichkeit, indem er mit unterschiedlich starkem Karton kleine Flächen auf der Grundfläche montiert oder schmale Leisten aufbringt.
Immer wieder bezieht sich Kommnick explizit auf die Musik: Er spricht von Intervallen, Modulationen und natürlich von Kompositionen. Er meint jene mathematischen Baugesetze der Musik, die sich in Quinten und Terzen, Sprüngen und Schritten, Kadenzen und Akkorden, Takt und Rhythmus zeigen und in der Wirkung ihres komplexen Zusammenspiels wie kaum eine andere Kunst die Seele berühren. Meßbarkeiten, die man vielleicht vergessen muss, um Musik wirklich zu hören. Der Bezug zur Musik äußert sich am deutlichsten in den horizontalen Arbeiten mit ihren unterschiedlich dünnen, kontrastierenden Vertikalstreifen – ausgebreitet wie Kompositionsnotate oder Klangfolgen oder auch in den chromatischen Farbabstufungen, zu denen Kommnicks Weiß imstande ist.
Seine „Abstract Paintings Black“ waren für den amerikanischen Maler Ad Reinhard „Die letzten Bilder, die man malen kann“ und Schwarz ist ihm eine Farbe, die alle anderen zum Verstummen bringt. Schwarz ist vielleicht DIE Farbe in der Malerei des 20. Jahrhunderts.
Die digitale Technik, die Forschung sowie ihre industrielle Anwendung eröffnen den zeitgenössischen Künstlern immer wieder neue und unerhörte koloristische Ausdrucksmöglichkeiten. Vor drei Jahren sicherte sich der britisch-indische Künstler Anish Kapoor die exklusiven Nutzungsrechte am „Vantablack“, einem neuen Schwarz, das 99,96 Prozent des Lichtes schluckt und mithin das bisher tiefste Schwarz war. Alles, was Kapoor damit färbte, verlor seine Form und wurde zum schwarzen Loch. Ist dieses bodenlose, totale Schwarz nun noch eine Farbe oder ist es Material für eine Position der Konzeptkunst des 21. Jahrhunderts?
Doch wenden wir uns jetzt wieder nach Kühlungsborn, dem Licht und den Farben zu, die das Schwarz und das Weiß in den Arbeiten von Luise Rösler und Bernd Kommnick enthalten!
(Regina Erbentraut), Eröffnung "Kontraste-Schwarz/Weiss" Rösler/Kommnick, 27.10.2019